Versicherungen
Warum Versicherungen?
Die Existenz des Menschen war seit Jahrtausenden von Gefahren bedroht. Allerdings lebte der Neandertaler noch
weitaus risikoloser als wir. Wer sich heutzutage im Fernsehen die Nachrichten anschaut oder einen Blick in die
Zeitungen wirft, dem werden die zunehmenden Bedrohungen durch die moderne Zivilisation in aller Deutlichkeit vor
Augen geführt: Naturkatastrophen wie im Bild oben zu sehen, Großbrände, Gewaltverbrechen, Unfälle und vieles mehr
bedrohen Hab und Gut, Gesundheit und sogar das Leben. Zur gleichen Zeit ist auch das Vermögen des Menschen -im
weitesten Sinne- gestiegen. Er hat mehr Besitz, der Gefahren ausgesetzt ist. Und er besitzt mehr Fähigkeiten,
die Risiken in sich bergen, wie z.B. das Autofahren oder Fliegen. Dementsprechend ist auch das Bedürfnis
gestiegen, sich gegen diese Risiken und Gefahren des täglichen Lebens zu versichern. Hierin liegt die Erklärung
für den immensen Aufschwung, den das Versicherungswesen in den letzten 100 Jahren genommen hat. Versicherungen
können zwar die Gefahren des Alltags nicht beseitigen, aber sie versprechen einen Ausgleich für den finanziellen
Schaden, den der Versicherte etwa durch einen Unfall, durch Krankheit, Feuer oder Sturm erleidet. Eine
Versicherung macht zwar nicht glücklich, aber sie beruhigt. Sie ist wie eine Treppe mit Geländer. Man
braucht es vielleicht nicht, aber man kann sich immer darauf verlassen.
Was ist eigentlich eine Versicherung?
Versicherung ist Vorsorge für einen möglichen Schaden, von dem niemand weiß, ob, wann und unter welchen Umständen
er eintritt. Wenn die Urzeitjäger Teile ihrer erlegten Beute für kommende Tage aufhoben, die ersten Bauern das
geerntete Gut einlagerten, dann war das schon Vorsorge für die Zukunft, eine "Versicherung" gegen Hunger,
gegen Verhungern. Bereits um 2.500 v.Chr. -also vor rund 4.500 Jahren- hatten im alten Ägypten die Steinmetzen einen eigenen Begräbnisverein. Das ist die älteste bekannte Form einer Lebensversicherung. Aber die verbriefte Geschichte reicht noch weiter zurück. So ist bekannt, dass sich um 3.000 v.Chr. phönizische Händler zu Verbänden zusammenschlossen, die ihren Mitgliedern verlorengegangene Schiffsladungen ersetzten. Während bis dahin nur die Sippe den einzelnen zu schützen vermochte, wurde hier ein künstliches Gebilde geschaffen, an die Stelle der Blutsverwandtschaft trat die Berufsverwandtschaft.
Allerdings: Versicherungen, so wie wir sie heute kennen, tauchten erst viel später auf, denn bis zum 17.
Jahrhundert fehlten dazu -vor allem auf mathematischem Gebiet- die Voraussetzungen. Diese schuf erst Blaise
Pascal mit seinem Gesetz der großen Zahlen. Das Gesetz besagt, dass, je umfangreicher das beobachtete Material ist,
desto geringer die Bedeutung von Zufälligkeiten. Betrachten wir einmal dieses Gesetz am Würfelspiel. Die
Wahrscheinlichkeit, dass bei 6 Würfen alle 6 Zahlen je einmal fallen, ist gering. Je häufiger aber gewürfelt
wird, desto mehr werden sich die gewürfelten Zahlen dem Verhältnis 1:1 annähern. Von dieser Tatsache kann sich
jeder leicht selbst überzeugen, wenn er genug Geduld hat. Auf die Versicherung -in diesem Falle auf die
Lebensversicherung- angewandt: Wenn von 100 Sechzigjährigen im Laufe eines Jahres 10 sterben, dann ist der Schluss,
dass 10% aller Sechzigjährigen die nächsten 12 Monate nicht überleben, falsch. Erst wenn eine ausreichend große
Zahl dieser Altersklasse, z.B. 100.000 Personen beobachtet wird, kann deren Sterbenswahrscheinlichkeit mit einiger
Sicherheit abgeleitet werden.
Die Entdeckung der Wahrscheinlichkeitsrechnung gab besonders der Lebensversicherung und den ihr nahestehenden
Versicherungszweigen entscheidende Impulse. In relativ kurzer Zeit -gemessen an den Jahrtausenden, die seit den
ersten bekannten Schiffsversicherungen der Phönizier vergangen waren- entwickelte sich die Versicherungsmathematik, eine wesentliche Voraussetzung für moderne Versicherungen. So entstand -insbesondere im Laufe des letzten Jahrhunderts- eine Versicherungswirtschaft, deren volkswirtschaftliche Bedeutung heute als sehr hoch eingeschätzt werden muss.
Übrigens hat Blaise Pascal seine Theorie nie veröffentlicht. Mag sein, dass auch daran der Zufall schuld war,
denn am 23. November 1654, als er über die Brücke von Neuilly ging, scheute kurz vor ihm ein Vierergespann und
raste auf ihn zu. Pascal konnte auf der engen Brücke nicht ausweichen, er hatte den sicheren Tod vor Augen. Da,
im letzten Augenblick, riss das Geschirr, die Pferde blieben stehen. Pascal, der einmal das Leben als
zerbrechlichste Sache der Welt bezeichnet hatte, zog sich nach dieser "göttlichen Mahnung" in die Einsamkeit
von Port Royal zurück. Dort beschäftigte sich der einst so lebensfrohe Mann ausschließlich mit
Religionsphilosophie. Er starb, gerade 39 Jahre alt, 1662.
Nach diesem kleinen Exkurs aber wieder zurück zum eigentlichen Thema: Was bedeutet eigentlich "Versicherung"?
Lassen wir hierzu zunächst zwei bekannte Wirtschaftswissenschaftler zu Wort kommen. In einer älteren Definition
vertrat H. Möller die Auffassung, "Versicherung im Rechtssinne ist eine Gemeinschaft gleichartig Gefährdeter, also
eine Gefahrengemeinschaft mit selbständigen Rechtsansprüchen auf wechselseitige Bedarfsdeckung".
W. Mohr meint, dass "Versicherung die Sicherung der Wirtschaftsführung gegen die aus unabwendbaren Gefahren
fließenden Risiken ist, vollbracht durch Verteilung der Versicherungsleistung auf einen von der gleichen Gefahr
bedrohten Kreis von Wirtschaftenden oder einen nach Wahrscheinlichkeitskalkülen wagenden Versicherer".
Das klingt alles ein bisschen kompliziert, gewiss, doch die Materie ist nun mal nicht ganz einfach. Trotzdem lässt
es sich natürlich auch etwas weniger wissenschaftlich ausdrücken: Versicherung ist Risikoübernahme durch einen
gewerbsmäßigen Versicherer. Und was ist Risiko?
Nun, der Mensch und sein Eigentum ist -wie wir oben bereits gesehen haben- von mancherlei Gefahren bedroht. Er
kann einen Unfall erleiden, durch Brand sein Hab und Gut verlieren oder einem anderen einen Schaden zufügen, für
den er aufzukommen hat. Diese Gefahren kann er selbst tragen oder wirtschaftlich auf einen anderen, eben den
Versicherer, abwälzen. Tut er das, so wird die Gefahr des Versicherten für den Versicherer zum Risiko, dieser
trägt sozusagen das Risiko des Schadeneintritts für seine Kunden. Dafür zahlen die Kunden ein Entgelt, die
Prämie, als Gegenleistung erhalten sie vom Versicherer den Versicherungsschutz.
So mancher von uns könnte zu sich sagen: "Ich habe jahrelang nur Beiträge gezahlt, niemals einen Schaden gehabt,
der Versicherer hat also noch nie für mich leisten müssen". Diese Meinung ist jedoch verkehrt. Der Versicherer
leistet immer, gleichgültig, ob ein Schaden eintritt oder nicht. Allein die Zusage, im Schadenfall zu zahlen,
ist schon die Gegenleistung. Das bedeutet also: Versicherung ist Risikoübernahme durch einen gewerbsmäßigen
Versicherer gegen Entgelt, die Prämie. Als Gegenleistung erbringt der Versicherer das Schutzversprechen für
den Schadenfall.